Einatmen, Clausatmen.

Der Künstler Nikolaus Eberstaller über den Menschen Claus Preisinger.

Auf der kostbaren Suche nach unüblichen Menschen ist man mitunter lange unterwegs. Übliche gibt es ausreichend, sie verstellen den freien Blick auf die Wagemutigen. Risikolosigkeit ist ja ausgesprochen hinderlich, wenn es darum geht, das Leben als gewaltiges Abenteuer zu betrachten. Wagemut kann sehr zielführend sein, um das Leben mit euphorischen Momenten anzureichern.

Claus Preisinger ist Weinbauer und das, was er und vor allem wie er es tut, würde jedem Unternehmensberater die Herzkranzgefäße verengen.

Er pfeift drauf.

Diesen Vorgang prägt die erfrischend aufrechte Neigung, lästige Zivilisationskrankheiten wie Effizienz, Workflow oder gar so etwas Widerliches wie Gewinnmaximierung als das zu behandeln, was sie sind: kleingeistige Surrogate, die davon ablenken sollen, dass wir eines Tages die Hülle abwerfen und ganz was Neues anfangen. Pessimisten sagen abkratzen dazu.

Weil Claus Preisinger auf so vieles pfeift, hat er mit dem, was übrigbleibt, Erfolg.

Doch (fast) von Anfang an: 1999 kommt ein Kerl zu mir ins Atelier, klopft kiloweise Erde von seinen Stiefeln, lächelt, grüßt freundlich, zündet sich eine Parisienne an (das ging damals, ohne zu fragen) und setzt sich hin. Dann versenkt er seinen Blutdruck auf Höhe seiner Knöchel und hakt sich ziemlich verbindlich in meinen Blick ein.

Er erinnerte mich an die Typen, die dir in der U-Bahn Passage Superman-Logos zum Schlucken verkaufen wollen. Aber wir sind nicht in der U-Bahn. Wir sind in 7122 Gols, Nordburgenland. Wir haben keine U-Bahn. Wir schlucken keine Superman-Logos. Wir haben Besseres.

Ich bin der Claus. Meine Weine passen. Ich brauche ein perfektes Label.

Aha. Mit neunzehn Jahren arbeitet dieses arrogante Arschloch an seinem ersten Jahrgang und fordert den Superlativ. Kurze Zeit später stellte sich heraus, dass ich das Arschloch war, nicht er. Er wusste, wo er hinwill – ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Ahnung. Hab ich heute noch teilweise nicht.

Auf der Suche nach meiner Läuterung arbeiten wir ein ganzes Jahr wie die Monks an unzähligen Labelentwürfen, bis schließlich gar nichts mehr drauf ist. Die vorletzte Version war ein Schatten, die letzte war gar nichts mehr. Als wir vor der auf Leere eingedampften Etikette sitzen und uns passenderweise über „A Brief History of Time“ unterhalten (weil wir für Ulysses zu beschränkt sind), sind wir längst Diagnosegenossen. Ein weißes Label als unbeschriebenes Blatt, das er damals war. Heute ist er vielbeschrieben, sein Label aber macht nach wie vor klar, dass er den Inhalt weit vor das Äußere stellt und jeder, der das anders sieht, ein Pausenclown ist. Was nicht bedeutet, dass ihm die Visualisierung nichts bedeutet – sie muss nur passen. Das „nur“ aber ist gar nicht so einfach, wenn man damit Weine zu illustrieren hat, die ein Medley aus Jacksons Off The Wall, Cashs Cocaine Blues und Stravinskys Firebird Suite zeitgleich an deinen präfrontalen Cortex hämmern wie Fred Feuerstein. Nicht für alle öffnet sich dabei die Tür.

Selbstwahrnehmung hat er en détail. Was aber hat er nicht? Angst. Eitelkeit.

In der Welt der Verängstigten fährt man nach der Arbeit synthetisch beduftet nach Hause. Dort riecht die Küche nach Cillit Bang, der Holzimitatboden ist so kratzfrei wie die eiskalte Glasplatte auf dem Esstisch. Der Rasen ist gemäht und alle unaufgefordert blühenden Störenfriede aus ihm gerissen, die Kleidung weichgespült, man riecht nach nichts statt Leben. Gähnende Leere unter den Fingernägeln. Das Haus ist exzessiv gedämmt, ab Frühling beginnt man zu schwitzen, sofern man bis dahin nicht an der eigenen Passivität bzw. der des Hauses erstickt ist. Die Garage ist geheizt und der Zaun fungizidgestrichen. Sonntagnachmittags wird kichernd Latex übergezogen, denn auch körperliche Nähe hat ihre Grenzen. Montag-morgens leichtverdauliches, superlustiges Radio, mittags Mikrowelle mit Glutamatbeilage, abends Tageszeitungen mit hohem Bildanteil, täglich Tannenwaldduftimitatgestank im Lifestylekombi. Die Namen der Kinder am Heck, Gummipussy im Handschuhfach – man könnte ja wieder einmal im Stau stecken. Wenig weiße Blutkörperchen, noch weniger Hoffnung, null Idee. Angst vor Sonnenbrand, Fadenwurm, Masern, Chemtrails, Weltverschwörung, Giftgasangriff. Skepsis bei jeder Bestellung, Argwohn bei jedem Kompliment. Links überholen, rechts wählen. Man poliert das Auto, weil man auf der Suche nach einer enthirnten Blondine keine bessere Idee hat. Man trinkt Wein, weil es so cool ist.

Solche Typen leiden unter Meinungsfreiheit: sie sind völlig frei davon.

Eitelkeit? Sein erster Keller war das beinharte Gegenteil davon: Fellini auf nordburgenländisch. Von gestalterischer Eitelkeit völlig losgelöstes Siebzigerjahre-Gewaltverbrechen mit freiliegender Sanitärverrohrung aus knallorangen Kunststoffrohren, durch die mitunter während einer Verkostung fröhlich der harte Stuhl des Großvaters klapperte. Am Kellereingang lauerte ein auf Bundeshauptstädter abgerichteter Höllenhund im Handtaschenformat auf einen Wadenbiss. Dankenswerterweise ereilte mich das Schicksal erst nach der Verkostung, und so fühlten sich die mich verwechselt habenden Fangzähne (ich roch damals nach Deo) an, als ob eine nackte Schöne ihre Apfelbrüste an mir rieb. Lebendgeimpft mit Pinot Noir ereilte mich kein Wundstarrkrampf, sondern entspannte Heiterkeit, während sich der Köter, angewidert von der eigenen Dummheit und meinem Eigengeschmack, wieder auf die Lauer legte.

So entstanden in den ersten elf Jahren Weine mit wenig Keller, aber viel Kick. Der finanzielle Aufwand für seinen ersten Kostraum war vergleichbar mit dem für die sechsflammigen Silberleuchter, die andere auf saukaltharte Glasplatten stellen, um den Eindruck zu erwecken, eigenen Stil zu haben (Profis legen noch unerschrocken Nüsse rundherum). Sein Kostraum: roher Fichtenholzboden, ein fahrlässig restaurierter Jugendstiltisch mit aus Polen entwendeten Friseursesseln. Die Eingangstür aus Bauholz. Voller Aschenbecher. Chappi-Dosen neben Châteaux Lafite. Konsequente Missachtung sämtlicher Musts.

Müssen tun die anderen.

2009 kam der neue Betrieb, ohne dass es zu einer wesentlichen Haltungsänderung gekommen wäre. Andere hätten jetzt auf Klingeling gesetzt, um mit gepushter Mengenicht nur die Kredite, sondern die eigene Eitelkeit zu befriedigen. Nicht so Claus. Entspannte, funktionierende Architektur ist ihm lieber als von antiken Säulen gerahmte Sektionaltore oder chlorwasserkotzende Zierbrunnen. Die Zurschaustellung eigener Unpässlichkeit ist nicht sein Ding. Er hat das, was er liebt und wofür man ihn liebt,mitgenommen. Freunde, Nippes, Spieltrieb, Eigengeschmack. Claus’ Weingut ist sowie seine Weine. Organisch, pulsierend, beseelt. Die Architektur wird nicht von der Möblage beleidigt und umgekehrt. Wenn was herumsteht, stört es nicht. Wenn nichts herumsteht, fällt es auch nicht weiter störend auf. Wer nach einer autoerotischen, niederquerschnitt-bereiften Prothese vor dem Weingut sucht, hat Pech gehabt. Die sind woanders peinlich. Er fährt jetzt mit einem Fahrzeug, das nur Männer fahren können, die sich ganz sicher sind, dass ihr Penis in Ordnung ist. Und er verkauft Weine, die viele niemals kapieren werden, aber ausreichend viele trinken wollen. Bingo. Danke.

PS: Sorry, vergessen:  Claus' erster Jahrgang war großartig. Alle anderen auch. Und nein: Ich zähle hier keine Prämierungen auf. Er hat mich damals schon darum gebeten, ihm unmittelbar in die Glocken zu treten, wenn er eines Tages auf „sowas“ Wert legen würde.