A Pitt Crazy

Der Künstler Nikolaus Eberstaller über die Menschen Brigitte und Gerhard Pittnauer.

Gerhard Pittnauer, auch so ein Verrückter. Zumindest aus der verkniffenen Sicht jener, die glauben, dass Naturweine nichts anderes sind als trittbrett-gelagerte Trends, die irgendwann verpuffen wie der Darmwind eines mit Trockenfutter überfressenen Labradors. Überhaupt ist es seltsam, wie hochgradig erregt ansonsten brav angepasste Menschen werden, wenn es um etwas geht, was keiner zum Überleben braucht. Naturweine. Gerhard Pittnauer hat, nachdem er das Handwerk des Weinmachens ausreichend erprobt hat, irgendwann irgendwo anthroposophisches Blut geleckt. Das Zeug hat es in sich, infiziert es doch mit der These, dass allen Dingen erstaunliche Logik innewohnt und dass es – wenn schon keinen Meister Yoda – doch zumindest etwas gibt, das uns ordnet bzw. zu ordnen versucht (der Mensch weigert sich ja beharrlich und zumeist erfolgreich). Wenn man also eine solcherart kosmisch verwobene Haltung hat, dann wird es für einen selbst ganz leicht, dem folgen zu wollen – das Können aber ist wie immer die Kür.

Nun macht Herr Pittnauer keinen besonders eleganten Eindruck, wenn man ihm begegnet. Eher wirkt er, als ob er eben dem Permafrost entrissen worden wäre, nachdem er 49 Jahre zuvor – berauscht von allerhand Verbotenem – nach dem Gig von “The Grateful Dead” auf einem Farmgelände nahe der Kleinstadt Bethel im US-Bundestaat New York versehentlich, aber frohgemut einen Achttausender bestiegen hätte – bis ihn die Kräfte verließen, sein Grinsen einfror und ihn sanft das vermeintlich ewige Eis umschloss. Als er, Klimawandel sei Dank, dann Jahrzehnte später auftaute, blieb der Spirit der Roaring Sixties erhalten – die Sneakers intakt, das Haar zersaust.

Kein Wunder, dass sich so einer schwer tut, was Normales zu trinken.

Also hat er sich gemeinsam mit seiner Frau Brigitte vor ein paar Wimpern-schlägen (zeitlich gesehen) zum Selbst- und Darüberhinausversorger gemacht und produziert eigenen Wein. Den mag er bisweilen sogar selbst, weil selbstkritisch ist er auf eine geradezu exzessive Weise. Irgendwie scheint das auch eine Klammer zu sein, die alle richtig guten Naturwein-winzer einschließt: Immer ist das, was gestern war, nicht so besonders, das Heute aber ist großartig und morgen, das wird wieder eine Herausforder-ung, der man sich nur schwer gewachsen fühlt. Das Wunderbare daran:
Die Begegnung mit solchen Menschen ist immer bereichernd schön, weil sie ja unweigerlich gegenwärtig passiert und jetzt eigentlich immer weder gestern noch morgen ist. Dass er seine Naturweine mit „Dogma“ betitelt, scheint eine besondere Chuzpe zu sein – bis man sich in eine tiefere als die erstvermutete Bedeutung einliest: „Hingegen wird der Begriff vor allem als Adjektiv (dogmatisch) pejorativ gebraucht von Personen, die die entsprechenden Lehrsätze als nicht hinreichend fundiert ansehen, zum Beispiel weil sie die Lehrautorität ... nicht anerkennen oder weil sie Welt-anschauungen und Wertvorstellungen prinzipiell skeptisch gegenüber-stehen, die den Anspruch erheben, als allein wahr, allgemeingültig oder verbindlich zu gelten oder gar für alle Zeit gültig zu sein. (Wikipedia)“ Das formuliert, was man auch simpler erklären könnte.

Wissen ist ein dehnbarer Begriff.

Herr Pittnauer vulgo Pitti ist also jemand, der die Dinge universell betrachtet. Das macht das Leben allerdings zu einer respektablen Aufgabe ohne Werbepause, dafür aber mit garantiertem Gegenwind aus dem Lager der Denkmalschützer. In Österreich treibt sich ein Weingesetz herum, das Menschen wie ihn permanent sekkiert. So darf man vieles, was nun einmal unweigerlich und auch unbestritten drin ist, nicht draufschreiben. Herkunft, Riede, den selbstverständlich mitverursachenden Neusiedler See oder als besondere Absurdität gar den Begriff „Qualitätswein“. Wer aber mitverfolgt, wie gnadenlos mit Qualität durchdrungen Naturals sein können und wie lächerlich gedankenlos so manche zum Qualitätswein erhobene Nullachtfuffzehnplörre im Superlativbranding auf ihre Entsorgung durch den Schlund eines Superleckertrinkers wartet, der kann nur mehr seitwärts headbangend auf intelligentere Zeiten hoffen. Es ist ja nichts einzuwenden, wenn nicht jeder Winzer aus seinem Wein ein Weltsubstrat zu machen bemüht ist, – aber schön langsam – und damit meine ich zumindest ein Dutzend österreichische Jahre – sollte angekommen sein, dass Naturals weder Skandal noch Provokation sind, auch nicht Marketinggag, sondern schlicht und einfach eine Erweiterung unseres Denkens, manifestiert durch einen anderen Geschmack, eine andere Sinnlichkeit, eine andere Interpretation dessen, was wir als Authentizität zu bezeichnen gewöhnt sind. Absurderweise verhilft ja dieses Verdrängenwollen den Naturweinwinzern dazu, die marketingmäßig nicht uninteressante Strahlkraft rotzfrecher Rebellion nutzen zu können. Im Grunde wollen die Damen und Herren allerdings nichts anderes, als Wein in Ruhe so reifen zu lassen, dass es einem, statt einem „suuperlecker“ mit vier Rufzeichen und drei Emojis dran, dann doch eher für einen kurzen, von innerer Reflexion getragenen Moment die Sprache verschlägt. Denn das ist der wahre Sex, der großem Wein innewohnt: das begeisterte pappenhalten, in das man freudvoll einsinkt, wenn auf dem Gaumen Genie und Wahnsinn Polka tanzen, ohne dabei zu Sturz zu kommen. Wer solch eine Performance einmal erlebt hat, der weiß dann, was die Winzer meinen, wenn sie als höchstes Ziel vom Abbildungsversuch dessen, was uns umgibt und prägt, sprechen.

Herrn Pittnauers Porträts sind gestochen scharf. Weichzeichner unerwünscht. Danke.