FATHER & SONS

Der Künstler Nikolaus Eberstaller über die Menschen John, Martin und Andreas Nittnaus.


I was once like you are now, and I know that it's not easy
To be calm when you've found something going on
But take your time, think a lot
Why, think of everything you've got
For you will still be here tomorrow, but your dreams may not
Cat Stevens: Father and Son


How can I try to explain?

Irgendjemand, irgendwas rührt dich aus dem kosmischen Gulyás ungefragt in eine ungewisse Zukunft ein, verlässt kichernd den Herd und lässt dich köcheln.

Vorsicht heiß.

Die einen empfinden das als Zumutung. Die anderen als Einladung. Dreien von denen, die dieser Veranstaltung nicht nur ihr Interesse bekunden, sondern fix zugesagt haben, ist dieser Text gewidmet: John, Martin, Andreas. Das Leben ist zweifelsohne ein fortwährendes Einrühren in das, was uns berührt, beschäftigt, umgibt. Ob man das will oder nicht, steht dabei nicht zur Diskussion. Es geschieht einfach. Man kann sich wehren. Bringt aber nichts. Angst ist kein Geschmacksträger. Besser ist es, genau an das zu glauben, vor dem die Wissenschaft trotzig ihr Auge verschließt: an das große Welttheater mit all seinen unfassbaren Gauklern und Artisten. Sie sind weder mess- noch greifbar. Aber deutlich spürbar.

Sie sind überall.

Sie stehen neben dir, wenn du im Keller stehst, die Augen schließt und deine Lungen tief mit dem Atem dessen füllst, was du als absolut lebendig wahrnimmst. Wenn du deine Hand auf das Fass legst und deinen eigenen Herzschlag darin spürst. Wenn du Vinyl auf den Teller legst, die Nadel senkst und schlagartig all das mit dir passiert, was die reinen Vernunftler so zu diskutieren auf keinen Fall bereit sind. Du löst dich aus dem rationalen Korsett und veränderst dich. Wirst leichter, hoffnungsfroher, bereiter, klarer, glücklicher – ohne Arzt oder Apotheker gefragt zu haben. Ohne verschneite Nasenschleimhäute, ohne so Grobgeistiges wie It-Sneakers, Apps oder Streamingdienste. Nur ein kluger Narr an deiner Seite, der flüstert:

Jetzt.

John
Dilettant. Er folgt dem Prinzip der inneren Notwendigkeit und nicht dem Allgemeingültigen. Dilettanten sind im ursprünglichen Sinne das Gegenteil dessen, was der gemeine Forenposter darunter versteht: Menschen, die eine Sache um ihrer selbst willen ausüben. Aus Interesse, Vergnügen oder Leidenschaft (ital.: dilettarsi – sich erfreuen, ergötzen). Wer kein Dilettant sein will, ist entweder ein fester Idiot oder Humanoid.
Diesem freudvollen Antrieb hatte auch der Buchhalter und Korrespondent Heinrich S. zu verdanken, dass sein Sandkistenspiel in einer steilen emotionalen Kurve verlief, an deren Scheitelpunkt er sich so gefühlt haben muss, wie sich jeder Mensch gerne fühlen würde: Er grub Troja aus. Der gescheiterte Jurist Johann Wolfgang G. entdeckte die Metamorphose und entwickelte die Farbenlehre (dichten konnte er übrigens auch). Leon F. begann zwar ein Medizinstudium, brach es aber ab, weil er beim Sezieren immer kotzen musste. Zum Ausgleich bewies er danach Erdrotation und maß die Lichtgeschwindigkeit. Auch gut.
Ohne John Nittnaus jetzt in den Olymp, den er ohnehin lieber von außen betrachtet, zerren zu wollen – er bewies (und beweist immer noch), dass das Gefühl, sein Ziel erreicht zu haben, das Gegenteil dessen ist, was zu einem Näherkommen führt. Alleine dafür gebührt ihm höchste Anerkennung. Dieses “das Ziel in Sichtweite haben” hat aus ihm einen faszinierenden Musiker gemacht, der als Winzer ebenso klare Töne anschlägt. Wenn einer Gitarrensaiten als Weingartendrähte einziehen würde, dann er.
John hat als Musiker wie als Winzer immer auf eines verzichtet: Anbiederung. Weder seine Musik noch seine Weine sind für Menschen geschaffen, die lieber in den Spiegel als durchs Fenster sehen. Wenn er spielt, erheben die Menschen ihre Gläser statt Sternspritzer. Wenn er vinifiziert, dann so, wie es seiner Überzeugung und nicht dem Hauptstrom entspricht. Deswegen hat John seine Kinder nicht in die Spritzgussform seines Geschmacks gepresst, sondern ließ sie gewähren.

You can‘t teach others if you are living the same way. (James Brown)

Franz Liszts “Transcendental Études”
Daniil Trifonov im Auditorium Maurice Ravel in Lyon am 7.11.2014.
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Martin
Tritt nicht in, sondern neben die Fußstapfen des Vaters – was man liebt, zertritt man schließlich nicht. Man tänzelt drumherum. Martin wollte Schauspieler werden, und ist auch einer. Ein Schauspiel kann Melodram, Posse, Tragödie oder Komödie bezeichnen. Er konzentriert sich auf die Komödie, deren Wortursprung dem Altgriechischen entstammt: Fest zu Ehren des Dionysos. Weil aber kaum etwas peinlicher ist als Weine mit Namen, an deren Bedeutungsschwere man sich einen Bruch hebt, heißt sein Wein Manila. (Gott sei Dank hat er ihn nicht Babylon, Sodom oder Stalingrad genannt.) Ob der aktuelle Jahrgang eine reinheitere Komödie wird oder aber von Tragik durchzogen ist, definiert hauptsächlich jene Institution, die für authentische Weine zuständig ist: das Wetter. Wobei ein Hauch Tragik noch keinem Wein geschadet hat, wenn am Ende alles happy endet. Was trägt er dazu bei? Es wäre etwas verkürzt zu behaupten, dass Martin kaum etwas dazu täte, damit der Wein zu etwas Begehrenswertem reift. Ich behaupte es trotzdem. Weil es wahr ist und weil es in keinster Weise ehrenrührig, sondern nur geschmacksstiftend ist, wenn ein Winzer der Natur den Matchball überlässt: Spontangärung ganzer Beeren im gebrauchten Holz, unfiltriert, ungeschwefelt. Es gibt kaum noch Menschen, die sich in der Verzückung des Verzichts so orientieren können. Er kann es.

James Brown “There Was a Time” at the Apollo Theater (Live, NYC, 1968)
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Andi
Verlässt sich dabei ebenfalls auf seine eigene Spur. Zeugt jährlich hochtalentierten weiblichen Nachwuchs. Seine Tochter benannten Weine haben viel zu erzählen, der Winzer selbst übt sich derweil in ausufernder Kontemplation. Künstler eben. Da muss raus, was raus muss, und ist es einmal raus, dann ist der Blutdruck fein eingependelt. Stille bis zum Bersten. Die Weine sind beim ersten Schluck scheu, werden mit zunehmender Hinwendung sexy, aber keinesfalls porno.  So einfach saufen geht gar nicht – sie zählen sich zu der Kategorie jener, die behirnt und nicht ausgegriffen werden wollen. Mit behirnen sind dabei keine akademischen Abhandlungen gemeint, auch keine intellektuellen Seiltänze – einspüren reicht. Und: Es ist faszinierend, wie laut leise Töne sein können, wenn die Trinkfreude mit einem durchgeht und man ansatzweise nachvollziehen kann, welch feiner Geist sie durchströmt. Wenn wir schon von Geist reden: Wer würde den ernsthaft filtrieren wollen? Eben. Also unfiltriert und ungeschwefelt. Das Resultat sind sehr unterhaltsame Weine, die ihr Repertoire aus zwei nur vermeintlichen Konkurrenten schöpfen: Wissenschaft und Gefühl.

Bugge Wesseltoft, solo piano Berlin 2014
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