Vogel, frei

Der Künstler Nikolaus Eberstaller über den Menschen Mike Muff.

Wenn du Pech hast, kommt eines Tages der blasse Spaßverderber im Röntgenbild- Look und winkt dich gelangweilt zu sich.

Dein Mindesthaltbarkeitsdatum ist abgelaufen, sorry aber auch.

Dann lässt dieser Unterweltler beiläufig den rechten Vorderreifen deines Leasingporsches platzen und das Letzte, was dir durch den Kopf geht, ist der illegal aufgestellte Muckibudenwegweiser einer gebotoxten Teilzeit-prostituierten im Speckgürtel der Großstadt. Echtes Alu, kein Plastik, immerhin. Auf deiner Todesanzeige steht „plötzlich und völlig unerwartet aus dem Leben gerissen“, obwohl du nie drin warst in dem Leben, das dich abgestoßen hat wie ein Teflon-Pfännchen. Du hast dich dein ganzes Leben lang gehütet vor dem, was du eigentlich tun hättest sollen: Haltung statt Unterwerfung wäre deine Rettung gewesen. So aber weint dein vermutlich engster Freund an deinem Grab – allerdings nicht, weil er dich vermisst, sondern weil du ausgerechnet an einem Mittwoch der Erde zur Verdauung vorgeworfen wirst, heute aber Mittwoch ist und sich da seine biologisch nicht mehr abbaubare Gattin im Nagelstudio ihre Keratinplatten verschandeln lässt, während er mit ausgesprochen gutem Gewissen zur Seite springt. Stattdessen aber steht er nun ohne jour ficks, aber mit Polyester-krawatte im Regen und fragt sich, ob sich totsein für dich genauso anfühlt wie lebenmüssen. Wer so wie du eine Existenz wie ein Coffee-to-go-Becher geführt hat, also zuerst heiß (auf das Leben), dann rasch abkühlend (wegen dem Leben), schließlich achtlos weggeworfen, der sollte sich dann inständig wünschen, dass das mit der Reinkarnation postfaktisch ist. Sonst wird’s echt mühsam mit deiner Erleuchtungskarriere. Wer will schon tausendmal leben, bevor der das erste Mal Spaß hat?

Was das mit Mike Muff und seinen Weinen zu tun hat? Nichts. Absolut nichts. Erfreulicherweise. Aber damit ist alles gesagt über den Winzer Mike Muff.

Kein Porsche,
aber Erde aus besten Lagen unter den Nägeln.

Mike macht Spaß. Allerdings nicht den vakuumierten Spaß, der einem die Testikel zu Rosinen schrumpfen lässt, weil er so erschütternd peinlich ist, sondern den lebendigen Spaß, der einen die Arme weit aufreißen lässt, um den Kerl für das zu umarmen, was er da schon wieder mit einer schamlosen Leichtigkeit in die Flasche gebracht hat: Weine, die das Leben des Mike Muff abbilden, unvergleichlich besser als dieser hilflose Text. Weine, weit weg von Perfektion und gerade deswegen so erfreulich lebendig. Weine aus Bauchgefühl, Daumen mal Pi, talentgesteuert, maischevergoren sowieso. Bio? Die Frage erübrigt sich.

Was kann man sonst noch schreiben über einen, den man lieber trinken als niederlabern sollte? Nichts wäre wohl am wahrhaftigsten. Ist er ein Schweizer im Burgenland? Nein, unzulässige Verkürzung. Muff ist nicht gerne ausschließlich etwas oder wo, schläft bei jedem Zuordnungsversuch demonstrativ ein. Wenn, dann ist Muff Mike und umgekehrt. Er ist auch Schweizer. So wie er auch Burgenländer, Europäer, Regenwäldler oder Bandscheibenträger ist. Für den gelernten Streber ist er natürlich Schweizer, genauso wie seine Weine für manche nachhaltig, finessenreich, klar strukturiert oder subtil am Gaumen oder sonst was Speichelfeuchtes aus dem Weinlexikon sein können, wenn ihnen nichts Besseres dazu einfällt. Ich finde „unbeschreiblich“ die beste Definition, da hat man wenig Arbeit damit und jeder kann sich nichts vorstellen. Und muss das einzig Zielführende tun:

Selbst trinken.

Seine Weine sind mike, so richtig mike. Der Mann hat immer das getan, was man im österreichischen Idiom als „sich nix scheißen“ bezeichnen würde. Eine Bezeichnung, welche die schizophrene Logik der Österreicher ziemlich gut trifft – denn wer „sich nix scheißt“, tut exakt das Gegenteil. Er scheißt (bzw. für Guterzogene: pfeift) drauf und verzichtet auf all das, wovon sich eh alle trennen wollen, aber kaum wer die Eier (Herren) bzw. das Gehirn (Damen) haben.

Ich cha doch nöd a jedi Hundsverlochete gah.*

Der Verzicht auf Society, Konvention, Klischee, Must-haves und sonstigen Lebenskrücken hat ihm zu außergewöhnlichem Reichtum verholfen. Das, was er an Leben bereits inhaliert hat, erträumt sich ein Leasingporsche-fahrer in zittrigen Nächten, wenn er mit heraushängender Zungenspitze an sich herumspielt und daran denkt, wie erregend es wohl wäre, wenn er frei wäre. Zwanglos. Ohne Abbucher für Imponierartikel. Mike Muffs Freiheit aber erwächst aus der Armut an Dingen, die er nicht hat, nicht braucht und die ihm demzufolge auch an seinem schwyzerdütschen Füdli** vorbeigehen.

Mike war Elektromonteur. Hat festgestellt, dass das Kribbeln fehlt bzw. wenn es dann doch schlagartig kommt, deutlich zu stark ist. Als Barmann ist er eingesunken in den seelischen Treibsand seiner Gäste, hat mit zunehmender Skepsis Industrieplörre in Gläser entsorgt, ab und zu einem Gast aber reinen Wein einschenken dürfen. DJ elektronischer Clubmusik. Wein neben dem Turntable, zunehmende Fixierung aufs Wesentliche. Dreijährige Ausbildung zum Winzer. Weil Menschen, die ihr Leben ausschöpfen wollen, mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Mittäter treffen, tritt er am 1. April 2008 seine Arbeit im Weingut von Claus Preisinger an, seit 2018 dirigiert er im Keller vom Weingut Trapl. Heute ist er nicht nur dessen Kellermeister und selbst-ständiger Kleinstmengenwinzer, sondern das, was alle gerne wären: so frei, dass er jederzeit gehen kann. Wohin auch immer.

* Schweizerdeutsch für: Ich kann doch nicht auf jedes Hundebegräbnis gehen (Metapher für nichtigen Anlass, zu dem es sich nicht lohnt hinzugehen)
** Schweizerdeutsch für: Arsch