Im trüben
so klar

Der Künstler Nikolaus Eberstaller über den Menschen Andreas Gsellmann.

Der Versuch, Andreas Gsellmann isoliert zu betrachten, ist ähnlich unergiebig, wie wenn man einen Einzelnen dazu auffordern würde, sich selbst zu umzingeln. Er ist seine Familie, seine Familie ist er, verbunden durch etwas, das ich zu beschreiben nicht in der Lage bin. Diese Bindung ist je nach Betrachtungswinkel spooky, ambivalent oder begehrenswert. Ein Multiorganismus, der sich gewiss ist, sich jederzeit in sein Gehäuse zurückziehen zu können, wenn es draußen eintrübt. Pannonisches mia san mia ohne Trikotverkauf und VIP-Tribüne. Wirbewusstsein ohne großkopferte Inszenierung.

Wie kam das? Keine Ahnung.

Oder vielleicht doch. Aber dazu muss ich in einen Text abbiegen, der nicht viel mit Wein und doch irgendwie alles damit zu tun hat.
Wir leben in einer Welt, in der man sehr viel Kraft aufbringen muss, um sich nicht auch eine Satellitenschüssel auf’s Dach zu tackern und auf selbstgenerierte Reize mangels Kompetenz, Antrieb oder Intelligenz zu verzichten. Solcherart stillgelegt vollzieht man außer Zellteilung nicht mehr viel. Nichts bewegt sich. Halboffener Mund, seidenmatter Blick. Ab und zu ein Darmwind als höchste Eskalationsstufe des Aufbegehrens. Halbstündiger Lidschlag. Notstromaggregat.
Alexa, heirate mich. Gsellmanns haben keine Alexa. Sie schalten das Licht mit dem Finger ein. Sie haben statt künstlicher Intelligenz einen Ladenhüter.

Hausverstand.

Sie haben einen Gemüse- und Kräutergarten, eine Katze, einen Hund, Hühner, Hähne, in besonderen Jahren Bentheimer-Schweine. Restaurierte Möbel statt neuer Designdiskonterware mit geplanter Obsoleszenz. Sie haben staubige Füße im Sommer. Der Holzboden hat Kratzer, weil er aus Holz ist. Wenn sie wissen wollen, wie das Wetter ist, blicken sie zum Himmel. Kinder im Hof. Statt Alexa zu fragen, was man entweder ohnehin weiß oder nicht zu wissen braucht, träumt Andreas viel. Von einerschöneren, klügeren Welt, in der alles Wertschätzung erfährt. Anthroposophie als eines von vielen Leitbildern, um auf dem Weg motiviert zu bleiben – um die Spur dessen nicht zu verlieren, was dieses Leben mit Duft erfüllt.

Das ist ein ambitioniertes Unterfangen, denn nahezu alles, was man uns serviert, ist die Kalorien nicht wert, die man verbrennt, wenn man seinen Musculus rectus inferior in Gang setzt, um den Blick darauf zu senken. Wenn man sich was Feines gönnen will, dann vertraut man Captain Iglo und seiner Bande. Für viele ist der Kerl ein weißbärtiger, salzluftgegegerbter Sympathler, der rechteckige Fische in die Pfanne haut und kleine Kinder liebt. Andere sehen es umgekehrt: er liebt Fische (weil sie Kohle abwerfen) und haut die Kinder in die Pfanne. Für sie ist der Mann nichts anderes als eine schleppnetzfischende, den Beifang halbtot ins Meer zurückkübelnde Fantasielosfigur, dessen Kultprodukt nichts anderes ist als Fischpresskuchen, den kettenrauchende Billiglöhner abends aus den Gummistiefelprofilen klopfen, bevor sie sich pattexschnüffelnd in den Schlaf weinen.

Weil das so ist, wie es ist, machen die Gsellmanns das, was sie machen. Mit aller Konsequenz. Wenn die Menschen da draußen ihre Teller und Gläser näher betrachten würden – wenn sie Wert auf Inhalt und Herkunft legen würden –, könnte Andreas seine Weine ausschließlich direkt vermarkten. Viele Menschen werten jedoch anders, als Andreas träumt. Deswegen reist er viel, um jene Inseln zu finden, wo man dasselbe exotische Denken pflegt.

Könnte er, wie er wollte, und müsste er nicht, wie es der Staat und seine Behörden verlangen, dann würde Andreas mit seiner Familie von dem leben, was er wachsen lässt, und es gegen das tauschen, was andere besser können. Geld hätte er keines in der Tasche. Wozu auch? Diese Romantik, dieses kindliche Hoffen, dieses Unverdorbene, dieses im Trüben so Klare wohnt seinen Weine inne. Andreas glaubt an die Dinge, dieman weder sehen noch restlos erklären kann. Nicht restlos aber lässt einen Spielraum. Das Etwas von dem, was man nicht in seine kleinsten Einzelteile zerlegen kann, ist, wonach er sucht. Und das ist völlig ausreichend, wenn man Newtons Materialismus als irreführend empfindet. Andreas ist weltfremd, ohne dass ihm dabei die Welt fremd würde.

Seine Weine ticken genauso.